13.06.2025 -Hamburg- Vortrag im Warburg-Haus: "Die symbolische Prägnanz des Rechtsbegriffs (Kant. Köhler. Cassirer)" Prof. Dr. Gerald Süchting

13.06.2025 -Hamburg- Vortrag im Warburg-Haus: "Die symbolische Prägnanz des Rechtsbegriffs (Kant. Köhler. Cassirer)" Prof. Dr. Gerald Süchting
Die wissenschaftliche Darstellung des Rechtsbegriffs führt unvermeidlich zu einer Metaphysik der Sitten. Naturalisierende Beschreibungen des Rechts scheitern notwendig und münden in verdinglichten, dem Menschen entfremdeten Modellierungen von „Recht“. Michael Köhler hat mit RuG eine Rechtsphilosophie vorgelegt, welche sich radikal auf den Boden der Metaphysik stellt und von dort aus die Fülle, den Wandel und die formende Kraft der Rechtswirklichkeit in den Blick nimmt.
Gegenstand des Rechts sind menschliche Handlungen in deren äußeren Verhältnis. Es geht um die alltägliche Erfahrung eigener und fremder Handlungsmacht - handelnd Entscheidungen zu treffen, deren Folgen in die Ausübung von Rechtszwang münden können. Nicht hinweg zu denkende Aufgabe der Rechtsphilosophie ist die Begründung von Rechtszwang, so dass dieser auch aus der Freiheit des dem Zwange Unterworfenen erklärbar ist. Jede gedankliche Bemühung um den Rechtsbegriff, welche sich dieser Aufgabe nicht stellt, geht am Untersuchungsgegenstand vorbei. Zwang, welcher nicht aus der Freiheit des Unterworfenen erklärbar ist, kann kein Recht sein und ist -bestenfalls- nur mit reduzierten Kategorien der Herrschafts- oder Machtausübung, in politischer Hinsicht also mit der Macht der Bajonette zu beschreiben.
Hier und jetzt über Recht zu sprechen bedeutet, das Ganze einer vollständig verstandenen konkreten Subjektivität mitzusprechen. Das Gebiet des Rechts ist ein Teilgebiet des objektiven Geistes, verstanden als die umfassende Fülle und Schöpfungskraft individueller Subjektivität, welche dem Menschen einzeln -gebunden in Gemeinschaft- eigen ist und ihm gegenständlich als geschichtliche, soziale und kulturelle Lebenswelt, als seine konkrete Existenz gegenübertritt. Den Rechtsbegriff bei Michael Köhler darzustellen bedeutet, die von ihm in RuG entwickelte Systematik einer freiheitlichen Struktur menschlicher Subjektivität in Gemeinschaft in den Rechtsbegriff hinein zu bilden. Dies wäre mit einem voluminösen Verweis auf RuG und einem ebenso voluminösen Verweis auf die verstreuten Schriften Michael Köhlers erledigt. Unerledigt bliebe bei diesem Verweis die weitere Aufklärung, welche Prinzipien und welche Metaphysik Köhler voraussetzt und unter welchen Bedingungen Köhler diese Prinzipien auf das geltende Recht anwendet. Mit RuG ist in diesen Hinsichten das letzte Wort noch nicht gesprochen. Die Prinzipienorientierung und die Methode der Anwendung sind schärfer zu fokussieren.
Die Rechtsphilosophie Michael Köhlers schreibt die Metaphysik der Sitten/Rechtslehre Immanuel Kants fort. Köhler und Cassirer gemeinsam ist der produktive Bezug auf die Einsichten Kants in die Subjektivität aus Freiheit und der daraus resultierenden normativen Ordnungen in der Erfahrung und in der Praxis. Cassirer hat mit der Philosophie der symbolischen Formen vorgetragen, dass jedes symbolisch strukturierte Weltverständnis als Erfahrung normativ strukturiert sei. Naturalistische Erklärungsversuche eingrenzend nimmt Cassirer die zentralen Annahmen der Kritik der reinen Vernunft auf und entwickelt eine formale Theorie des objektiven Geistes aus konkreter subjektiver Freiheit. Eine praktische Philosophie und insbesondere eine Rechtsphilosophie werden im Werk Cassirers hingegen nicht ausgearbeitet und sind nur in Ansätzen erkennbar. Dass eine Rechtslehre auf der Grundlage der Philosophie der symbolischen Formen möglich und geboten sein könnte, wurde an anderer Stelle unter dem Aspekt rechtlichen Sollens bereits bearbeitet.
Unter dem hier gegenständlichen Gesichtspunkt der normativen Konstruktion des Rechtsbegriffs wird dessen praktisch-philosophische Grundlage und die Möglichkeit einer Metaphysik des Rechts weiter aufgeklärt. Die Philosophie der symbolischen Formen Cassirers übernimmt die Funktionen eines erweiterten rechtswissenschaftlichen Sprachraums für die ontologischen und die normativen Begründungselemente des Rechtsbegriffs bei Michael Köhler. Damit ist zugleich die Erweiterung der Philosophie der symbolischen Formen um eine Rechtsphilosophie der Aufklärung verbunden.