(2022.03.30) Die COVID-Rechtsprechung des BGH im gewerblichen Mietrecht

(2022.03.30) Die COVID-Rechtsprechung des BGH im gewerblichen Mietrecht

Gewerberaummietvertrag, Covid 19 und der Wegfall der Geschäftsgrundlage - wann darf ich die Miete reduzieren? Der Bundesgerichtshof hat in 2 Entscheidungen vom 12.01.2022 (XII ZR 8/21) und vom 16.02.2022 (XII ZR 17/21) die mietrechtlichen Regeln klargestellt. Diese Entscheidungen werden für die Rechtsprechung und Rechtsberatung leitend werden. Für die Mieter bedeuten diese Urteile Steine statt Brot. Die Anforderungen, welchen zu entsprechen ist, liegen höher. Es ist jedenfalls nicht leichter geworden, Ansprüche auf Mietminderung nach pandemiebedingter Schließung des Geschäftsbetriebs durchzusetzen. Dies betrifft auch die Fälle, in denen pandemiebedingt der Zugang zu den Geschäftsräumen erschwert wurde und der Geschäftsbetrieb deswegen nur stark eingeschränkt stattfinden kann.

 

 

1.

In seiner ersten Entscheidung vom 12.01.2022 (1. Leitsatz und Rz. 29) stellt der Bundesgerichtshof klar, dass die pandemiebedingte Schließung von Geschäftsräumen -wie z. B. eines Zulassungsbetriebs in den Räumen einer behördlichen Zulassungsstelle- nicht zu einem Mangel der vermieteten Räume führe. Dies bedeutet, der Bundesgerichtshof versagt den mietenden Unternehmen die Mängelrechte aus Mietvertrag, welche bei Einschränkungen der Gebrauchstauglichkeit der gewerblichen Räume dem Mieter kraft Gesetzes zustehen, wie z. B. Mietminderung, Schadensersatz, Kündigung.

 

Das ist für den Mieter eine unerfreuliche Weichenstellung. Gerade die Möglichkeit zur Mietminderung hätte die Möglichkeit eröffnet, bei pandemiebedingter Schließung von Geschäftsräumen zu einem wirtschaftlich vernünftigen Ausgleich zu gelangen, bei welchem die wechselseitigen Risiken von Vermieter und Mieter sachgerecht abgewogen werden könnten. Der Bundesgerichtshof ordnet die Risiken einer pandemiebedingten Schließung von Geschäftsräumen jedoch allein dem Mieter zu (Rz. 31 ff). Die Begründung ist dürftig und die das Urteil tragende (!) Risikoverteilung wird vom Bundesgerichtshof selbst am Ende des Urteils infrage gestellt. Das Verwendungsrisiko für die gewerblichen Räume könne nicht allein dem Mieter aufgebürdet werden (Rz. 56). Warum dann dem Mieter nicht auch Mängelrechte zustehen können, lässt der Bundesgerichtshof mit einem formalen Verweis auf seine frühere Rechtsprechung im Dunkeln.

 

 

2.

In derselben Entscheidung sieht der Bundesgerichtshof die Möglichkeit, über die Regeln von der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 1 BGB) zu einem Anspruch des Mieters von gewerblich genutzten Räumen auf Anpassung der Miete zu gelangen (2. Leitsatz und Rz. 41 ff). Dabei werden die Bäume jedoch nicht in den Himmel wachsen. Die weiteren Grundsätze im Urteil haben es für den Mieter in sich: Bei der Prüfung, ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar sei, soll sich eine pauschale Betrachtungsweise verbieten. Maßgeblich seien vielmehr sämtliche Umstände des Einzelfalls. Daher seien auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt hat.

 

Der Bundesgerichtshof zeigt den Vermietern in seinem Urteil sodann ausführlich die Wege aus der Vermieterhaftung:

 

Eine Vertragsanpassung z.B. dahingehend, dass ohne Berücksichtigung der konkreten Umstände die Miete für den Zeitraum der Geschäftsschließung grundsätzlich um die Hälfte herabgesetzt werde, weil das Risiko einer pandemiebedingten Gebrauchsbeschränkung der Mietsache keine der beiden Mietvertragsparteien allein treffe, komme nicht in Betracht

 

Bei der vorzunehmenden Abwägung sei von Bedeutung, welche Nachteile dem Mieter durch die Geschäftsschließung und deren Dauer entstanden. Diese würden bei einem gewerblichen Mieter primär in einem konkreten Umsatzrückgang für die Zeit der Schließung bestehen, wobei jedoch nur auf das konkrete Mietobjekt und nicht auf einen möglichen Konzernumsatz abzustellen sei. Zu berücksichtigen sei auch, welche Maßnahmen der Mieter ergriffen hat oder ergreifen konnte, um die drohenden Verluste während der Geschäftsschließung zu vermindern.

 

Die Vertragsanpassung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage dürfe nicht zu einer Überkompensierung der entstandenen Verluste führen. Bei der Prüfung der Unzumutbarkeit seien auch die finanziellen Vorteile (!) zu berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich dieser pandemiebedingten Nachteile 1. erlangt hat oder 2. erlangen könne oder 3. schuldhaft zu erlangen unterlassen hat. Auch Leistungen einer einstandspflichtigen Betriebsversicherung des Mieters können zu berücksichtigen sein. Staatliche Unterstützungsmaßnahmen, die nur auf Basis eines Darlehens gewährt wurden, blieben hingegen bei der gebotenen Abwägung außer Betracht, weil der Mieter durch sie keine endgültige Kompensation der erlittenen Umsatzeinbußen erreiche. Eine tatsächliche Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Mieters sei dagegen nicht erforderlich.

 

Schließlich seien bei der gebotenen Abwägung auch die Interessen des Vermieters in den Blick zu nehmen (sic).

 

Dabei obliege es dem Mieter, der sich auf eine Störung der Geschäftsgrundlage beruft, nachzuweisen, dass ihm ein Festhalten am unveränderten Vertrag unzumutbar sei. Im Falle einer pandemiebedingten Geschäftsschließung muss daher der Mieter darlegen und gegebenenfalls beweisen, welche Nachteile ihm aus der Betriebsschließung entstanden sind, die ihm eine vollständige Mietzahlung für diesen Zeitraum unzumutbar machen, und welche zumutbaren Anstrengungen er unternommen hat, um drohende Verluste auszugleichen. Behaupte der Mieter, keine staatlichen Unterstützungsleistungen erhalten zu haben, müsse er darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass er sich um mögliche Hilfeleistungen vergeblich bemüht hat. Gelinge ihm dies nicht, müsse er sich so behandeln lassen, als habe er die staatlichen Unterstützungsleistungen erhalten. Wende hingegen der Vermieter ein, dass die vom Mieter behaupteten Verluste nicht auf der COVID-19-Pandemie beruhten, träfe ihn hierfür die Darlegungs- und Beweislast.

 

 

3.

Diese Rechtsprechung verlangt vom Mieter eine erhebliche Risikobereitschaft und wirtschaftliche Leidensfähigkeit als Voraussetzung für die Entscheidung, ein Mietminderungsbegehren wegen pandemiebedingter Schließung gegenüber dem Vermieter gerichtlich durchzusetzen. Es ist nicht zu erwarten, dass sich viele Mieter zur robusten Durchsetzung von Mietanpassungsbegehren entscheiden werden. Ohnehin wirtschaftlich geschwächt durch die pandemiebedingten Einschränkungen, werden die erheblichen Kostenrisiken eines Rechtsstreits bei äußerst ungewisser Erfolgsaussicht für die Mieter nicht attraktiv sein.

 

 

4.

Im unmittelbar nachfolgenden Urteil vom 16.02.2022 zitierte der 12. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs ausführlich sich selbst: „Durch die COVID-19-Pandemie und die damit verbundenen weitreichenden Beschränkungen des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens hat sich die sog. Große Geschäftsgrundlage für den zwischen den Parteien abgeschlossenen Mietvertrag schwerwiegend geändert. Die Beklagte hat auch nicht vertraglich das alleinige Verwendungsrisiko für den Fall einer pandemiebedingten Schließung oder Einschränkung ihres Einzelhandelsgeschäfts übernommen. Es kann mangels entgegenstehender Anhaltspunkte davon ausgegangen werden, dass die Parteien den Mietvertrag mit einem anderen Inhalt abgeschlossen hätten, wenn sie bei Vertragsschluss die Möglichkeit einer Pandemie und die damit verbundene Gefahr einer hoheitlich angeordneten Betriebsschließung oder Einschränkung vorausgesehen und bedacht hätten. Denn es ist anzunehmen, dass redliche Mietvertragsparteien für diesen Fall das damit verbundene wirtschaftliche Risiko nicht einseitig zu Lasten des Mieters geregelt, sondern in dem Vertrag für diesen Fall eine Möglichkeit zur Mietanpassung vorgesehen hätten.“ (Rz. 28)

 

Die Darlegungs- und Beweiserfordernisse, welche dem Mieter auflasten, welcher eine Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage begehrt, senkt der Bundesgerichtshof jedoch nicht. Es blieb bei den hohen Anforderungen aus dem Urteil vom 12.01.2022. Die dort aufgestellten Regeln wurden ausdrücklich bestätigt.

 

Im Ergebnis: Für die gewerblichen Mieter Steine statt Brot.

 

 

5.

In seinem weiteren Urteil vom 26.02.2022 (IV ZR 144/21) hatte der Bundesgerichtshof über Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung nach Betriebsschließung durch behördliche Anordnung in der Corona-Pandemie zu entscheiden.

 

Der Kläger wünschte die Versicherungsleistung für die Schließung seines Restaurants als Entschädigung aus Betriebsschließungsversicherung. Das Landgericht und das Oberlandesgericht wiesen die Klage zurück und der Kläger hatte auch in der letzten Instanz vor dem Bundesgerichtshof keinen Erfolg.

 

Der Betriebsschließungsversicherung lagen die bei diesen Versicherungen üblichen „Zusatzbedingungen für die Versicherung von Betrieben gegen Schäden aufgrund behördlicher Anordnung nach dem Infektionsschutzgesetz (Betriebsschließung)-2008“ (im Folgenden: ZBSV 08) zu Grunde. Im § 2 ZBSV 08 werden alle möglichen meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger aufgeführt, jedoch nicht die Krankheit COVID-19 und auch nicht der Krankheitserreger SARS-CoV-2.

 

Der Versicherungsschutz blieb dem Versicherungsnehmer und Restaurantbetreiber deswegen versagt.

 

Diese Entscheidung rundet das Bild für die betroffenen Unternehmer ab, welche durch die pandemiebedingten behördlichen Anordnungen erhebliche Einschränkungen in ihrem Geschäftsbetrieb in den letzten Jahren erleiden mussten. Ansprüche auf Vertragsanpassung und Absenkung des Mietzinses sind nur unter äußerst hohen Anforderungen denkbar. Ansprüche auf Leistungen aus Betriebsschließungsversicherung sind äußerst unwahrscheinlich, falls dem Versicherungsvertrag die ZBSV 08 zu Grunde liegen.

 

 

Unabhängig davon, ob man diese Entscheidungen für richtig oder falsch hält, man wird mit Ihnen zukünftig leben müssen.

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